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Rede Botschafter von Geyr beim 21. Aachener Krönungsmahl am 25.10.2024 - „Mit Sicherheit Europa!“
Sehr geehrte Oberbürgermeisterin Keupen,
sehr geehrter Professor Müller,
sehr geehrte Damen und Herren,
Sie hatten gebeten, heute als Botschafter bei der NATO und auch aus meinen eigenen, persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Das will ich gerne tun - so dass dann meine Bemerkungen auch nicht einen strikt offiziellen Charakter haben.
I
Es geht um Europa - ich will mit der NATO beginnen. Oft werde ich gefragt, was macht die NATO eigentlich?
Sie sorgt dafür, dass eine Milliarde Menschen in Sicherheit leben.
Ein einfacher und zugleich enorm anspruchsvoller Satz.
In diesem Jahr begeht die NATO ihren 75. Geburtstag. 75 Jahre NATO bedeuten 75 Jahre Frieden und Freiheit in Europa und im Atlantischen Raum - in den Ländern, die sich als Allianz gemeinsam schützen.
Für mich gehören die Sicherheit Europas und die NATO zusammen. Ja, mehr als das:
Die Europäische Integration als Friedensprojekt für einen Kontinent, der über Jahrhunderte von unendlichen Kriegen geprägt war, ist nach dem Ersten Weltkrieg noch gescheitert.
Auf den furchtbaren Ruinen des Zweiten Weltkriegs dann ist die Europäische Integration gelungen - gerade auch weil die Vereinigten Staaten bereit waren, sich dauerhaft für Frieden und Freiheit in und mit Europa zu engagieren.
Die Atlantische Allianz hat dem europäischen Integrationsprozess Sicherheit gegeben - sie tut es heute und hoffentlich noch lange.
In wenigen Tagen jährt sich der Fall der Mauer zum 35. Mal.
Es ist das Symbol der Wiedervereinigung unseres Landes und auch Europas.
Hinter dem Eisernen Vorhang war die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit und Recht stärker als die angsteinflößende Brutalität der Diktaturen.
Ein großer Teil Europas hat damals Frieden und Freiheit gewonnen – und sogleich Sicherheit unter dem Schirm der NATO gesucht.
Frieden und Freiheit sind zerbrechlich, sie brauchen Sicherheit.
Damals wie heute, und auch morgen.
II
Europa – Sicherheit. Damit zum Blick auf die Sicherheitslage und zur Frage: „was tun?“
1.
Zunächst zur Ukraine und zum noch größeren Thema „Russland“.
Anfang der Woche habe ich in Brüssel mit meinen baltischen und mitteleuropäischen Kollegen daran erinnert, dass vor genau 30 Jahren, 1994, die letzten russischen Soldaten aus Deutschland und Europa abgezogen sind.
Jetzt stehen wieder Truppen Moskaus gewaltsam in einem europäischen Land, in der Ukraine, und führen seit zweieinhalb Jahren gegen jedes Völkerrecht einen brutalen Eroberungskrieg.
Wieder erklärt sich Moskau zum Herrn über die Souveränität eines Staates, den es vorher selbst anerkannt hatte, wieder will es Nachbarn dominieren.
Und mehr als das: der Kreml will Anführer sein der nicht-westlichen Welt gegen den Westen. Dieser Tage beim Treffen der BRICS-Staaten in Kasan war es klar zu hören.
Damit ist die Gefechtslage klar: Moskau stellt sich auch gegen uns, es will Konfrontation.
Mir bleibt eingeprägt, wie mir das in Moskau schon vor dem Krieg von hoher Stelle klar gesagt wurde: wir, der Westen, wollten mit unseren Vorstellungen in die Köpfe und Herzen der jungen Russen – man werde dies nicht zulassen.
Deshalb: Es geht in diesem Krieg um zweierlei: um die Ukraine und es geht um die Rechtsordnung auf unserem Kontinent und darüber hinaus.
Es ist unser überragendes europäisches Sicherheitsinteresse, dass derartige Beutekriege im Stil früherer Jahrhunderte nie wieder gelingen.
Moskaus Methoden von Gestern dürfen keine Zukunft haben.
Vergangene Woche hat uns der ukrainische Präsident Selenskyj im NATO-Hauptquartier über die Lage berichtet. Russland will die Verteidigungslinien an der Front brechen und es will die Moral der Menschen brechen, mit Angriffen auf Krankenhäuser, Wohnblocks und auf die Energieversorgung vor dem Winter.
Unsere Haltung ist klar: Die Ukraine kann sich auf ihre Partner verlassen. Wir stehen solide an ihrer Seite mit wirtschaftlicher, politischer und starker militärischer Hilfe. Moskau sollte nicht darauf bauen, dass wir die Geduld verlieren und nachlassen. Dies ist unser europäisches und atlantisches Sicherheitsinteresse.
Dabei ist es selbstverständlich richtig, auch ständig zu überlegen, wie es zu einem Ende von Tod und Gewalt kommen kann, zu Verhandlungen, zu einem Frieden, der dann aber auch wirklich einer ist: der Sicherheit bietet für die Ukraine und der das Völkerrecht achtet.
Mit diesem Ziel sind Verhandlungen vorstellbar, aber nicht als Diktat Moskaus, das bislang nur auf der Basis zu Verhandlungen bereit ist, dass es die eroberte Beute behalten kann.
Es geht also um Frieden und Freiheit und Sicherheit – für die Ukraine – und für uns.
Dass die Propaganda und die Drohungen des Kremls auch bei vielen Menschen im Westen und bei uns verfangen, ist bitter.
Natürlich, viele Menschen sind der unzähligen Krisen und Konflikte müde, man mag sich zurücksehnen nach früherer Klarheit und Ordnung.
Aber es macht Sorge, wenn die Zahl derer steigt, die der Illusion glauben, dass es einfache und schnelle Lösungen gibt, und die nicht bereit sind, tiefer über historische Zusammenhänge nachzudenken und über die Komplexität unserer globalisierten Welt.
Wir müssen das ernstnehmen und geduldig, ja unermüdlich erklären und überzeugen – und absichtlicher Desinformation klar entgegentreten.
Noch vor dem Krieg bin ich als Botschafter in Russland in Kaliningrad, dem früheren Königsberg, am Grab Immanuel Kants gestanden, die dortige Universität trägt stolz seinen Namen. In einer Diskussion dort habe ich über Europa gesprochen, über Frieden und Freiheit.
Eine Studentin hat mich scharfsinnig gefragt: „Was ist wichtiger, Frieden oder Freiheit?“ Solch ein Gespräch war damals noch möglich.
2022, als der Krieg schon begonnen hatte, eine Diskussionssendung im russischen Fernsehen: Eingeblendet eine Karte, auf der gezeigt wurde, wie lange eine in Kaliningrad abgefeuerte Nuklearwaffe bräuchte, um in Berlin einzuschlagen: 106 Sekunden. Nach Paris und London etwas länger.
Im Sommer 2022 dann eine große, von Vielen besuchte Ausstellung auf dem Roten Platz, Kriegsgerät aus dem Zweiten Weltkrieg, das Ganze unter der großen Überschrift: „1941 = 2022“.
Die Propaganda hat den Spieß umgedreht: nicht Russland habe die Ukraine angegriffen, sondern der Westen wolle Russland in seiner Existenz vernichten, wie Nazi-Deutschland 1941 die Sowjetunion.
Ein wirkliches Gespräch ist nicht mehr möglich. Die Studierenden von Kaliningrad müssen schweigen, oder sie sind weg.
Die Analyse ist hart: Das derzeitige System will und braucht die Entfernung vom Westen, ja Konfrontation, es will und braucht harte Hand nach Außen und Innen. Den eigentlichen Krieg führt es gegen die Kraft von Freiheit, Vielfalt, Toleranz und Kompromissen.
Eine Bemerkung möchte ich noch machen: wir sollten die Menschen nicht vergessen. Ich habe in Russland sehr warmherzige Menschen kennengelernt – sie leben in einem jetzt eiskalten System.
2.
Nun ein Blick auf den Nahen und Mittleren Osten.
Am 7. Oktober habe ich in meiner jetzigen Funktion an einem Gedenken in der Großen Synagoge Europas in Brüssel teilgenommen, am Jahrestag eines der furchtbarsten Terror-Massaker unserer Zeit.
Kaum auszuhalten die Worte der Eltern eines an diesem Tag Ermordeten und eines an diesem Tag Entführten, von dem es seither keine Nachricht gibt – kaum auszuhalten, aber so wichtig zu hören!
Denn dieser Tag wird Israel lange prägen, es geht nach dem Holocaust um ein weiteres: „nie wieder!“.
Es ist in jeder Hinsicht richtig, mit aller Empathie an der Seite des Staates und der Menschen zu stehen, denen der bestialische Anschlag gegolten hat.
Hier setze ich ausdrücklich einen Punkt. Für diese Tat gibt es keine Rechtfertigung und ich formuliere keinen Satz mit „…, aber…“.
Die Frage, wie die israelische Regierung mit dem infernalischen Massaker umgeht, wie mit den Terroristen, wie mit Gaza, der Westbank, mit Gruppierungen im Libanon, wie in der Region mit denen, die die blutigen Fäden gegen das Lebensrecht des Staates Israel ziehen, wie mit dem Iran, auch: wie bei all dem das Völkerrecht gewahrt wird – diese Frage wird in Israel heftig diskutiert, in der Welt, und natürlich auch bei uns.
Die Sorgen sind immens und zur Stunde kann niemand sicher sein, dass Krieg und Gewalt unter Kontrolle kommen, dass die Region nicht an noch mehr Fronten explodiert, dass es Perspektiven gibt für eine Beruhigung, und irgendwann für einen Frieden, in dem alle ihren Platz finden für ein Leben ohne Angst vor Terror und in Würde und Sicherheit.
Die Rückkehr zu Stabilität und die Sicherheit vor Terror ist unser überragendes Interesse, der Nahe und Mittlere Osten ist für uns Europäer unsere unmittelbare Nachbarschaft.
Die Sorgen sind groß, auch in der NATO, eine Ausbildungs-Mission der Allianz ist im Irak, auch mit deutschen Soldaten, ich habe sie im Frühjahr in Bagdad besucht.
Alle diplomatischen Instrumente sind aktiviert. Ägypten und Qatar, den Amerikanern und Europäern und vielen anderen geht es um einen schrittweisen Waffenstillstand, Geiselbefreiung und den Einstieg in tragfähige Lösungswege.
Einfache und rasche Lösungen gibt es in dieser geschundenen Region nicht.
Wir müssen Engagement und Geduld beweisen – Sicherheit braucht Geduld.
3.
Geduld auch bei uns in Europa. Bei all den derzeitigen Schlagzeilen könnte man denken, zumindest mitten in Europa sei Ruhe. Leider zeigt ein Blick auf den Westlichen Balkan, dass dies nicht so ist.
Im Winter 1991 habe ich, frisch im Auswärtigen Amt, eine meiner ersten Aufgaben bekommen: die Kabinettsdokumente zur Anerkennung Sloweniens und Kroatiens in den Ministerien zu verteilen – mitten im blutigen Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens.
Der damalige Außenminister Genscher appellierte sehr bewusst an Alle zum Miteinander über althergebrachte nationale, religiöse, ethnische Friktionen hinweg.
Heute, über drei Jahrzehnte später, ist im Kosovo die Lage immer noch so brisant, dass die NATO gerade erst ihre Präsenz sogar wieder erhöhen musste, auch mit einer weiteren robusten Kompanie der Bundeswehr. Und in Bosnien-Herzegowina bleibt ein militärisches Kontingent der EU stationiert – kein wirklicher und umfassender Frieden also inmitten Europas auch nach so langer Zeit und trotz aller Instrumente von NATO, EU und OSZE.
Frieden, Freiheit und Sicherheit brauchen Geduld und Standfestigkeit – wir sollten daran denken, wenn wir hier und da rasche Lösungen fordern.
4.
Damit über Europa und seine Nachbarschaften hinaus, quasi in die Welt – was ist für die Sicherheit Europas relevant – und was nicht?
Im Sommer war ich auf einer Konferenz im Norden Spaniens, in Santander. Im imposanten Museum eine Ausstellung von Werken der indischen Künstlerin Shilpa Gupta. Dabei eine Installation, die zuvor an einem der weiten Strände Indiens und andernorts zu sehen war, jetzt hier:
Eine riesige, leuchtende Schrift:
„I live under your sky, too!“
Ein grandioses Kunstwerk, das einem die Augen öffnet, einem entgegenschreit oder entgegenschweigt:
wir sind alle betroffen, isolierte Lösungen gibt es letztlich nicht!
Wir müssen die globalisierte Realität und unsere Betroffenheit auch mit scheinbar entfernten Problemen akzeptieren, aus politischen, wirtschaftlichen und moralischen Gründen – und auch wegen unserer Sicherheit.
So ist die Zusammenarbeit mit Ländern des „Globalen Südens“ auch Sicherheitspolitik.
Es geht nicht nur, aber eben auch um unsere Sicherheit, wenn es um die Reduktion der Armut in der Welt geht, wenn es um einen fairen Zugang Aller zu immer limitierteren natürlichen Ressourcen geht, wenn es um die Kosten für eine Linderung des Klimawandels geht, und und und.
Wir müssen uns engagieren, und zwar beherzt, und zwar jetzt.
Russland macht dort Angebote: Billige Energie, Waffen und keine Fragen, wenn es um Demokratie und Menschenrechte geht.
Auch aus sicherheitspolitischen Gründen müssen wir dem etwas entgegenstellen – wir das heißt, wir Europäer, der Westen.
Warum nicht „Partnerschaften für Sicherheit und Prosperität“? Das könnten die EU und die NATO gemeinsam. Wir sind in der Lage als Westen attraktive Angebote zu machen, sollten unsere Kräfte bündeln und fokussieren.
Dabei werden wir auch gut überlegen und kluge Wege finden müssen, wie wir mit Autokratien umgehen wollen, und zwar so, dass wir alle unsere Interessen wahren: als Demokratien, die den Menschenrechten verpflichtet sind, unsere Außenwirtschafts-Interessen und unsere Sicherheitsinteressen.
Nicht einfach, aber wichtig, denn der World Democracy Index des Economist zählt derzeit wesentlich mehr Autokratien und Diktaturen, als vollwertige Demokratien. So ist die Realität.
5.
Dabei darf ein Wort zu Asien nicht fehlen, und das heißt vor allem: zu China, und zwar aus dem Blickwinkel der Sicherheitspolitik.
Ohne jeden Zweifel wird das Land weiterhin eine einzigartige Dynamik auf die Wirtschaft und Entwicklung Asiens und anderer Teile der Welt ausüben, so auch auf Europa.
Aber unsere Sorgen wachsen über Abhängigkeiten, über die militärische Aufrüstung Chinas in allen Bereichen und über eine Politik, die in der Region zeigen möchte, wer, wie es mir einmal ein hochrangiger Chinese gesagt hat, „Herr im Haus“ ist.
Wenn dabei das Völkerrecht Schaden nimmt, geht das auch uns an.
Die Europäische Union führt sehr ernste Gespräche mit China zu Wirtschaft und Handel. Wir Deutschen haben als eine der weltweit größten Seehandelsnationen beispielsweise größtes Interesse daran, dass internationale Seewege weiterhin frei passiert werden können. Auch deshalb hat die Deutsche Marine vor einigen Wochen zwei ihrer Schiffe durch die Straße von Taiwan gesandt.
Was die NATO betrifft, beschränkt sich die Zuständigkeit richtigerweise auf den euro-atlantischen Raum – aber sehr wohl intensivieren wir die Kooperationen mit den uns Gleichgesinnten auch im Indo-Pazifik: mit Südkorea, Japan, Australien und Neuseeland.
Schädliche Aktivitäten Pekings im Cyber- und Informationsraum wirken bereits direkt zu uns herein, betreffen nicht zuletzt deutsche Unternehmen.
Und unsere Proteste gegen die Unterstützung Pekings für Moskau, die das Durchhalten Russlands gegen die Ukraine möglich macht, werden deutlicher.
Aktuelle Nachrichten über die Präsenz nordkoreanischer Soldaten in Russland sind besonders brisant.
III
Was bedeutet nun all dies für die militärischen Strukturen der NATO? Was kommt auf uns zu, heute und in der absehbaren Zukunft?
1.
Die NATO wird Frieden und Freiheit auch heute und morgen wahren, wenn sie beides hat:
den politischen Willen und die militärischen Fähigkeiten.
Der politische Wille, das ist der Artikel 5: ein Angriff auf einen Alliierten ist ein Angriff auf alle. Das gilt, ohne Wenn und Aber. Keiner sollte diese Bereitschaft quasi „testen“ wollen.
Die tatsächlichen militärischen Fähigkeiten, das ist der andere Teil der Glaubwürdigkeit, der Abschreckung: so stark zu sein, dass sich ein Angriff nicht lohnt. Und darüber müssen wir sprechen.
Seit der Invasion Russlands in die ukrainische Krim und dann noch intensiver seit dem Überfall auf die Ukraine sind die militärischen Strukturen der Allianz in einer eigenen „Zeitenwende“ – und diese ist grundlegend und umfassend.
Die Logik ist klar: Aus der neuen, brisanter gewordenen Bedrohungslage heraus hat die NATO ihre Pläne zur Verteidigung angepasst und einen neuen gemeinsamen Bedarf definiert. Dieser wiederum wird auf die 32 Alliierten verteilt, jeder hat seinen Beitrag zu leisten.
Die aktuellen Pläne, Bedarfe und nationalen Aufgaben sind immens anspruchsvoll. Für alle, auch für Deutschland. Kurzfristig und langfristig.
Dies begründet die Investitionen, die wir für den Aufbau unserer Streitkräfte brauchen, für den Kauf oder die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten – immer abgestimmt im Miteinander und in Solidarität mit den anderen Alliierten.
Alle müssen sich anstrengen, die Fähigkeiten sind verwoben. Macht einer nicht mit, schadet es der Sicherheit aller.
Oder, wie es ein NATO-Admiral mit aller soldatischer Klarheit formuliert: Wenn einer nicht mitmacht, kostet dies Leben.
Und genau hier findet sich auch der Sinn des sogenannten 2%-Ziels: alle müssen einen fairen Teil ihrer Wirtschaftsleistung in den Verteidigungshaushalt geben, und zwar verlässlich auf Dauer, um ihre Güter und Verbände für die kollektive Verteidigung zur Verfügung zu stellen.
Und wohlgemerkt, es geht um mindestens 2%, viele Alliierte kalkulieren mit mehr.
In dieser Zeitenwende befinden wir uns, Sicherheit, und das heißt: die Fähigkeit zu Abschreckung und Verteidigung, muss angesichts der Lage Priorität bekommen.
Das verlangt schwierige politische Abwägungen bei allen Alliierten. Es mag unbequem sein, aber es ist notwendig.
Denn es geht um die tatsächliche Glaubwürdigkeit der Allianz und damit der Sicherheit unseres Landes, Europas und der Alliierten. Und wir können sicher sein, dass unser Reden und Tun dabei von denen genauestens beobachtet wird, die es nicht gut mit uns meinen.
2.
Ich war 1981/82 in der Bundeswehr. Damals, Mitten im Kalten Krieg, betrug der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP 3,5%.
Und damals kannte die Bundeswehr die Antworten auf viele Fragen, die sich heute ebenfalls wieder stellen, die mit dem Vorbereitet sein auf einen Ernstfall zu tun haben.
Es geht um die innere Resilienz der Alliierten, also auch unseres Landes.
Und Resilienz, das betrifft auch die Länder und Kommunen, ja im Grunde jeden.
Es geht um Planungen dafür, wie wir bei einer Krise dafür sorgen, dass die Regale unserer Supermärkte oder Apotheken nicht binnen ein oder zwei Tagen leergefegt sind. Wie unsere Behörden einen tagelagen Blackout überbrücken können. Wie wir große Truppenverbände rasch quer durch die Bundesrepublik bekommen, auf unseren Straßen, Schienen, in der Luft.
Oder:
Wie bewegen wir uns im Informationsraum, wenn Realitäten leicht konstruiert und manipuliert werden können? Wie bekommen wir als Europäer selbst genug Satelliten in den Orbit, die wir für unsere Mobiltelefone, Navis täglich brauchen – und auch für die militärische Kommunikation?
Dies sind nur wenige von einer Unmenge an Fragen, die sich stellen. Dies ist unbequem, komplex, aber Teil des Ganzen, Teil einer ernsthaften Zeitenwende.
Die äußere Sicherheit, für die die NATO militärisch sorgen soll, funktioniert nur, wenn sie im Inneren, im Zivilen, konsequent begleitet wird.
Deutschland nimmt sich dessen an, es gibt einen „Operationsplan Deutschland“. Wir müssen ihn engagiert und zügig umsetzen.
Wichtig ist mir: Wir müssen zu einer inneren Grundhaltung kommen, bei der das notwendige, das richtige Maß an Sicherheit selbstverständlich wird.
Das gilt für den Rückhalt, den die Bundeswehr braucht, gerade wenn sie kräftiger werden muss.
Das gilt für den Rückhalt, den die Verteidigungsindustrie braucht, die das produzieren muss, was wir für Sicherheit und Verteidigung brauchen.
Das gilt für den Rückhalt für die Innovationskraft unserer klugen Köpfe, die Lösungen erfinden, die für unser tägliches Leben, aber eben auch für unsere Sicherheit gut nutzbar sind.
Und dies gilt übrigens auch für den Rückhalt, den unsere Nachrichtendienste brauchen, wenn sie wichtige, brisante Erkenntnislücken füllen sollen.
Wieder: Dies alles betrifft nicht nur uns, aber auch uns.
3.
Damit bin ich zurück bei Europas Sicherheit, für die wir euro-atlantisch sorgen.
Euro-atlantisch – hier möchte ich genauer formulieren: weiterhin atlantisch, in der NATO, gemeinsam mit unseren amerikanischen und kanadischen Verbündeten. Und in diesem atlantischen Verbund immer mehr europäisch.
In wenigen Tagen finden die amerikanischen Präsidentschaftswahlen statt und die Welt wartet gebannt auf das Ergebnis.
Ich bin mir sicher, wer auch immer gewinnt: Wir Europäer müssen mehr der gemeinsamen transatlantischen Verteidigungs-Lasten auf unsere europäischen Schultern nehmen.
Ein Zurück zu bequemen Zeiten, in denen die USA ungleich mehr an Aufgaben für die Sicherheit unseres europäischen Kontinents übernommen haben, wird es nicht geben.
Wir Europäer haben das verstanden. Wir sind auf dem richtigen Weg, als Europäer in der NATO, als EU – aber wir müssen gehörig Tempo aufnehmen. Wir müssen mehr gemeinsam investieren und gemeinsam entwickeln.
Die neue Europäische Kommission hat sich vorgenommen, die Verteidigungsindustrie mit Initiativen und Akzenten substanziell zu stärken. Auf Seiten der NATO hat der neue Generalsekretär Rutte 15 Jahre Erfahrung im Europäischen Rat. Dies ist eine große Chance, die Zusammenarbeit von EU und NATO entscheidend zu verbessern.
Vielleicht kann man damit beginnen, dass die EU sich im Verteidigungsbereich auf die Nutzung von NATO-Standards einigt? Dass sie mit noch mehr Schwung die Industrie animiert, Artilleriemunition zu produzieren?
IV.
Damit will ich meine Gedanken zu Europas Sicherheit schließen. Viele schwierige Themen.
Die gute Nachricht ist: Wir Europäer, wir Deutschen haben es selbst in der Hand so stark zu werden, dass wir in der Atlantischen Sicherheitspartnerschaft die nötige Relevanz entfalten.
Wir haben es selbst in der Hand, die richtigen Prioritäten zu setzen, unseren fairen Teil dazu beizutragen, dass wir mit der NATO weiterhin gut für die Sicherheit von einer Milliarde Menschen sorgen.
Wir Europäer können das. Wir müssen es wollen.
Barack Obama hat bei seinem ersten Wahlkampf den American Spirit so genial beschworen: „Yes, we can“.
Wir Europäer kennen genau diesen Gedanken auch, seit Langem.
Ich hatte am Anfang über Königsberg und Immanuel Kant gesprochen, dies bringt mich wieder zurück zu ihm, in diesem Jahr feiern wir seinen 300. Geburtstag.
Er hat das europäische „Yes, we can“ formuliert:
„Ich kann, weil ich will was ich muss!“