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Ansprache von Botschafter Hans-Dieter Lucas anlässlich der Gedenkfeier des 30-jährigen Mauerfalljubiläums im NATO-Hauptgebäude

Sehr geehrter Herr Generalsekretär,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Generäle, Admirale,
meine Damen und Herren!
Seien Sie herzlich willkommen bei dieser Veranstaltung zur Erinnerung an den Fall der Berliner Mauer vor 30 Jahren.
Gerade deswegen finden wir es auch jetzt noch so bewegend, Filmmaterial aus jener Nacht des Mauerfalls anzuschauen.
Ich kann mir vorstellen, dass sehr wenige von uns, die mit der Mauer als unbeweglicher politischer Realität gelebt haben, je dachten, dass sie zu unseren Lebzeiten abgerissen werden würde.
Aber in jener Nacht, am Samstag vor 30 Jahren, ist es geschehen. Ostdeutsche Grenzpolizisten öffneten Übergänge in der Mauer, sodass Ostberliner ohne Hindernis in den Westen strömen konnten. Mit unvorstellbarem Frohsinn, Staunen und mit Tränen überquerten sie die Grenze. Sie tanzten auf, an und neben der Mauer. So begann die eindeutig dramatischste und positivste Veränderung der politischen Landkarte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg. Es war der Anfang vom Ende für die Teilung Deutschlands und Europas sowie für die kommunistischen Diktaturen.

Der Fall der Mauer kam zwar unverhofft, aber er geschah nicht ohne Ursachen. Ohne die Entscheidung der ungarischen Regierung, im September 1989 ihre Grenze Flüchtlingen aus der DDR zu öffnen, wäre der Mauerfall undenkbar gewesen. Und im Wesentlichen haben wir es mutigen Menschen in der DDR, in Polen, in der Tschechoslowakei sowie in anderen ost- und mitteleuropäischen Ländern zu verdanken, dass die Absperrungen zwischen beiden deutschen Staaten endlich geöffnet wurden. Am 10. November 1989, am Tag nach dem Mauerfall, erklärte der damalige Generalsekretär Manfred Wörner: „Wir blicken einem Prozess des friedlichen, evolutionären Wandels entgegen, der dem überwältigen Bestreben der Menschen in ganz Europa und auch in der ganzen Welt entspricht. Diese Ereignisse zeigen erneut die Überzeugungskraft der demokratischen Ideale, für die unser Bündnis steht.“ Anders als 1953 in Ostdeutschland, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei und 1981 in Polen war das Streben der Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung in der Tat nicht mehr zu unterdrücken – weder in der DDR noch anderswo in Europa. Der menschliche Freiheitswille hat die Teilung Europas und den Kalten Krieg in die Vergangenheit verbannt.
An diesem besonderen Jahrestag gedenken wir all denen, die Opfer jener Mauer wurden, sowie des politischen Systems, das sie symbolisierte, und all denen, die beim Versuch, nach West-Berlin zu flüchten, ermordet oder in ihrem Streben nach Freiheit inhaftiert wurden.
Wir sollten zudem nicht vergessen, dass der 9. November noch mehr deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in sich vereint. An ebendiesem Tag endete 1918 das Deutsche Reich nach vier Jahren des Ersten Weltkriegs. 1938 haben die Nationalsozialisten am 9. November Synagogen in Brand gesetzt, jüdische Wohnungen und Unternehmen ausgeplündert, jüdische Mitbürger festgenommen und ermordet. Erst 1989 wurde der 9. November mit dem Fall der Berliner Mauer auch zu einem erfreulichen Datum in der deutschen Geschichte.
Um dieses Gebäude zu betreten, laufen viele von uns täglich an diesem Denkmal aus zwei originalen Mauerstücken vorbei. Zusammen mit dem Denkmal des 11. September ist es ein Symbol dessen, wofür dieses Bündnis steht: ein Symbol der Bündnissolidarität. Die NATO-Mitgliedsländer lehnten die Berliner Mauer von Anfang an ab. Im Dezember 1961, wenige Monate nachdem mit dem Bau der Mauer begonnen wurde, bekräftigten die NATO-Außenminister „ihre Entschlossenheit, die Freiheit West-Berlins zu schützen und zu verteidigen und seiner Bevölkerung die Bedingungen für ein Leben in Freiheit und Wohlstand zu sichern.“
Wir erinnern uns alle noch an den berühmten Spruch von US-Präsident Kennedy im darauf folgenden Jahr: „Ich bin ein Berliner!“ Während der langen Jahre des Kalten Krieges hat die NATO die Vorstellung eines in Frieden vereinten Deutschlands und Europas aufrechterhalten. Dank der Solidarität unserer Verbündeten konnten die Bundesrepublik und West-Berlin in Sicherheit gedeihen. Dafür sind wir für immer dankbar. Daher könnte es passender nicht sein, den Fall der Berliner Mauer hier am NATO-Hauptquartier, unter Verbündeten, zu feiern.
Heutzutage leben mehr als 900 Millionen Menschen im euro-atlantischen Raum von 29, bald 30 verbündeten Ländern zusammen in Freiheit und Frieden unter dem Sicherheitsschirm NATO. Wir müssen auch in Zukunft geschlossen beieinander stehen, um das Demokratie- und Freiheitsversprechen für kommende Generationen zu erhalten – das Versprechen des Tages, an dem vor 30 Jahren die Berliner Mauer gefallen ist.
Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und gebe nun das Wort an Sie, Herr Generalsekretär.